Sonntag, 12. Juni 2022
15. Reise
In den Pfingstferien fahren wir eine Woche an den Lago Maggiore. In Cannobio habe ich uns einen kleinen, einfachen Campingplatz direkt am See ausgesucht.

1. Tag

Da wir bereits um 7.45 Uhr von zu Hause losfahren können und außerdem ein Feiertag ist, durchfahren wir den Sankt Gotthard-Tunnel ohne jede Wartezeit. Es macht richtig Spaß, unterwegs zu sein, wenn es läuft und man nicht ständig im Stau stehen muss! Einmal verpassen wir eine Ausfahrt und müssen einen Umweg fahren. Der Umweg ist sehr beschwerlich und erfordert B.s ganzes fahrerisches Können. Einmal mehr bin ich heilfroh, dass ich nicht am Steuer sitzen muss!

In Brissago (kurz vor der italienischen Grenze) ist die Straße abenteuerlich eng. Rechts die Felsenwand und links der Gegenverkehr. Da ziehe ich jedesmal den Kopf ein, wenn uns jemand entgegenkommt! Plötzlich gibt es einen Knall, weil der rechte Außenspiegel irgendwo dagegen knallt. Er ist aber nur verstellt und ein bisschen verkratzt, nichts Schlimmes?

Der Platz "Caming Residence Campagna" hat keinen nennenswerten Spielplatz, keinen Pool und kein Kinderbespaßungsprogramm. Dafür liegt er direkt am See und ist nur 10 Minuten zu Fuß von Cannobio entfernt.

Als wir gegen 12.00 Uhr dort vorfahren, stellen wir uns auf den uns zugewiesenen Platz und dann kommt folgender, inzwischen fester Ablauf:

1. Wohnmobil waagerecht ausrichten, Stützen rauskurbeln, Strom anschließen, Teppich auslegen, Markise rauskurbeln, Möbel aufstellen.
2. Auskundschaften, wo das nächste Waschhaus ist und wie es um die sanitären Einrichtungen so bestellt ist.
3. Erster Spaziergang zum See.
4. Kleines Nickerchen im Schatten der Markise.



Nachmittags erkunden wir die Umgebung. Es ist ganz schön heiß und unsere Gesichter glühen. Aber ein kurzer Abstecher in den örtlichen Supermarkt (Oliven, Wein und Käse) muss noch sein.

Abends gehen wir im Ristorante am Platz essen, weil ich keine Lust zum Kochen habe. Leicht angeschickert fallen wir todmüde ins Bett.


2. Tag

Es ist bewölkt und regnet hin und wieder ganz leicht. Ich breche alleine zu einem Spaziergang auf.

B. bleibt unter der Markise sitzen und liest.

Unser Wohnmobil steht am Rande des Campingplatzes. Neben uns ein kleiner Weg. Plötzlich steht vor B. eine Frau, die angeblich nicht sprechen kann. Sie streckt ihm einen Zettel hin, auf dem irgendetwas steht. B. winkt sie energisch weg. In der Zwischenzeit bemerkt er, dass ein Mann sich hinter unser Wohnmobil geschlichen hat. B. steht auf und beide (Mann und Frau) verschwinden ebenso schnell wieder, wie sie aufgetaucht sind.

Als ich nach einer knappen Stunde zurückkomme, erzählt B. mir so nebenbei davon. Ich bin geschockt: Das war doch sicher ein Ganovenpärchen! Ich hätte auf jeden Fall der Rezeption Bescheid gesagt und die Betreiber gewarnt. B. sieht dafür aber keine Veranlassung. Meine nächste Sorge gilt unseren Fahrrädern. Die stehen aber glücklicherweise noch da. Wenn B. auf seinem Stuhl eingeschlafen wäre, hätten die Ganoven unter Umständen das Wohnmobil ausgeräumt!

Normalerweise sind Campingplätze echt sicher. Jeder schaut nach seinem Nachbarn und passt auf. Dennoch empfiehlt es sich, seine Wertsachen nicht offen liegen zu lassen und es Dieben nicht allzu leicht zu machen.

Als wir vor einigen Wochen am Gardasee waren, kam am 3. oder 4. Tag auch jemand von den Platzbetreibern und bat uns, die E-Bikes hinter das Wohnmobil zu stellen und zusätzlich abzuschließen. Wir haben sie dann vorsorglich zusammengeklappt und in die Garage unserer Schnecke eingeschlossen. Sicher ist sicher!


3. Tag

Heute fahren wir mit der Fähre über den Lago Maggiore nach Luino. Dort ist großer Markt.

Drei Stunden latschen wir durch die Straßen und Gassen und haben noch lange nicht alles gesehen. Ein großer Jahrmarkt mit allem, was der Mensch so braucht oder auch nicht. Wir sind beeindruckt, dass dieser Markt jede Woche stattfindet. Bis das alles auf- und wieder abgebaut ist!







Gegen 13.00 Uhr schippern wir wieder über den See zurück nach Cannobio. Es ist sonnig und warm, aber nicht allzu heiß. So machen Ausflüge Spaß!





Auf dem "Camping Residence Campagna" gibt es ein größeres Waschhaus und ein sehr kleines. Die Duschen sind für italienische Verhältnisse sehr gut. Nicht besonders sauber und manches wäre reperaturbedürftig. Aber die Duschen haben abnehmbare Duschschläuche und der Wasserdruck ist enorm. Allerdings gibt es eine WC-Kabine bei den Damen, die mich irritiert.


Pinkeln die Italienerinnen im Stehen???


4.Tag

Heute machen wir eine Fahrradtour. Ich habe eine Strecke ausgesucht, die von der Gemeinde Cannobio empfohlen wird. Habe mir extra einen Plan dafür bei der Touristen-Info geholt.

Der erste Teil der Strecke läuft flott und angenehm. Mit unseren Pedelecs kann man leichte Steigungen locker meistern. Irgendwann geht die Strecke in einen Waldweg über. Das erfordert von mir volle Konzentration, denn Wurzeln und lose Steine können ruckzuck zu üblen Stürzen führen. Statistisch gesehen führen Stürze vom Fahrrad bei über Fünfzigjährigen zu schlimmen Verletzungen!

Nach einer Weile haben wir das Ziel erreicht und es hat sich wirklich gelohnt: Ein kleiner Wasserfall ergießt sich aus dem Wald. Unten gibt es eine kleine Badebucht aus feinem Kies. Und hoch oben thront über allem eine Kapelle.





Den Weg dort hoch zur Kapelle will ich mir sparen. Wir nehmen eine andere Route, aber immer brav auf dem empfohlenen Rundweg, damit wir uns nicht verfahren.

Leider waren keine Höhenlinien auf dem Plan eingezeichnet, sonst hätte ich schon bei der Planung der Fahrt abgewunken.

Der nun anstehende Weg ist dermaßen steil, dass du getrost von einer 40 prozentigen Steigung ausgehen darfst! Das hätte mich schon als Wanderin an den Rand der Verzweiflung gebracht, aber mit dem Fahrrad? Also absteigen und das 30 kg schwere Rad schieben! Am liebsten hätte ich die ganze Zeit gerufen: "Ich verreck! Ich verreck! Ich verreck!", aber dazu habe ich definitiv keine Puste mehr.

Einfach umkehren ist nach einer gewissen Strecke auch keine Option mehr. Also Zähne zusammenbeißen und die alpine Steigung bewältigen. An der Strecke sind sogenannte "Wohlfühlecken" eingerichtet. Kleine, überdachte Sitzgelegenheiten, Brunnen etc. Diese werden von mir aber keines Blickes gewürdigt, weil ich keuchend nach Luft ringen muss. Ich kann mich nicht erinnern, schon einmal so eine anstrengende Strecke bewältigt zu haben.

Irgendwann ist auch der höchste Gipfel erreicht und es geht endlich bergab. B. jubelt, schwingt sich auf sein Rad und rauscht die Strecke hinunter. Da ich aber erstens Höhenangst habe und zweitens auch sonst ein unglaublicher Schisser bin, schiebe ich das Rad den gesamten Berg wieder hinunter!



Mama Mia! Was für eine Anstrengung! Auf der Hälfte des Abhangs sind Stufen in den Weg gehauen. Die übersieht B. doch glatt und fährt, nein fliegt(!) todesmutig die Stufen hinunter. Unten angekommen, hält er erst einmal an und schaut sich nach mir um. Er ist neugierig, wie ich wohl diese Stufen bewältige.

Da komme ich um die Ecke getrabt, mit "Hühnerdäppele", vorsichtig die Füße voreinandersetzend und beide Hände fest um die Bremshebel geklammert, den Blick nach unten gerichtet um eventuelle Kieselsteine und andere Hindernisse umgehen zu können. Ich muss aussehen, als ob ich das Fahrrad als Rollator-Ersatz benutze!

Jetzt endlich sind wir wieder auf befestigter Straße und auch ich wage mich auf den Sattel. Es geht immer noch bergab, aber längst nicht so steil. Wir rauschen durch die Häusergassen von Cannobio und plötzlich öffnet sich der Blick auf den See!



Dort machen wir erst einmal ein Päuschen.

Die Strecke ist gerade mal 6 km lang. Trotzdem fühle ich mich, als ob ich ein richtiges Abenteuer erlebt hätte!

Den Abend verbringen wir am Seeufer. Der Wind bläst mit über 50 km/h und die Windsurfer, Kitesurfer und Wingfoiler zeigen ihre Kunststücke. Wingfoiler stehen auf einem Brett und haben eine Art mit Luft aufgepumpte Flügel in den Händen. Es ist spektakulär, was die Jungs (und Mädels?) da bieten.



Der stürmische Wind ruiniert jede Frisur!

Irgendwann haben wir Hunger und gehen zurück zum Wohnmobil. Mit einer schnellen Maultaschensuppe und einer Flasche Rotwein beschließen wir den Tag.


5.Tag

Heute Vormittag schlendern wir durch die Gassen von Cannobio. Diese Gassen sind wirklich, wirklich, wirklich eng! Heute haben die Bewohner ihr Altpapier rausgestellt und ich frage mich gerade, wie hier ein Müllfahrzeug durchpassen will, da quetscht sich so ein Mini-Fiat an uns vorbei und das Papier wird auf die Ladefläche geworfen. In manchen Gassen kann ich die Arme ausstrecken und berühre rechts und links die Hauswände.







Die meisten Häuschen sind uralt. B. behauptet, die seien "shabby-chic" verputzt!

Zurück am Campingplatz döse ich vor mich hin, lese und schaue Videos auf YouTube. Wenn es gar zu heiß wird, gehe ich zum Lago und kühle meine Füße ab.

Unser Platz liegt geschützt durch Bäume und Hecken und ist eher schattig, was bei hohen Temperaturen ein wahres Glück ist. Leider gibt es hier sehr viele Stechmücken. Ich bin total verstochen! Natürlich nehme ich dieses "Wunderpflaster", das verhindern soll, dass die Stiche jucken. Klappt leider nur bedingt. Besonders nachts kratze ich wie verrückt an meinen Armen und Beinen.

Gegen 21.30 Uhr überrede ich B., nochmal an die Uferpromenade zu gehen. Ich möchte Fotos machen von den Lichtern der Stadt. Was für eine Überraschung: Nachts ist in Cannobio ebenso viel los wie tagsüber! Die Promenade teilt sich - grob gesagt - in drei Teile.



Der erste Teil hat sich in eine Partymeile verwandelt, in der verschiedene DJs auflegen. Die Besucher tanzen auf der Straße, hören der Musik zu oder sitzen in an den Bars und am Ufer.

Im zweiten Teil ist ein Handwerkermarkt mit Schmuck, Seifen, Dingen aus Holz und so weiter.

Im dritten Teil ist Flohmarkt.

Inzwischen ist es halb elf abends. Und überall flanieren die Leute. Alle Lokale sind voll besetzt.

Ich freue mich total, dass ich zufällig da hineingeraten bin. Ob das typisch südländisch ist? Ich mag das Lebendige, Pulsierende, diesen Flair. Einige deutsche Touristen sind leider deutlich betrunken und machen damit die Stimmung (wie ich meine) ein bisschen kaputt. Schade, denn ansonsten sind dort die Leute tiefenentspannt und freuen sich offensichtlich, in Freiheit und Frieden ihr Leben genießen zu dürfen. Was ja leider keine Selbstverständlichkeit ist...


6.Tag

Ein typischer Faulenzertag: Keine Pläne. Kein Stress. Keine Eile.

Gegen Mittag lege ich mich an den Strand und gucke den Wassersportlern zu. Nach ner Weile tauchen leider hyperaktive Teenagerjungs auf und machen den Strandabschnitt zu ihrem Territorium. Laute Musik, lautes Gegröhle und so. Gut, das war's dann für mich. Ich habe immer Angst, dass Dummheit ansteckend sein könnte und bringe mich dann lieber in Sicherheit.

Heute ist es sehr warm und ich sitze mit langärmeliger Bluse, langer Hose und Socken (!) vor dem Wohnmobil. Ich habe einfach keine Lust mehr auf juckende Schnakenstiche! Mit meinem schwachen Bindegewebe verwandelt sich jeder Stich am Bein in ein dunkel verfärbtes Hämatom. Das dauert Wochen und Monate, bis das wieder verschwindet.

Die Alternative zu körperbedeckender Kleidung ist natürlich Autan. Aber die Viecher hier scheinen immun dagegen zu sein.

Abends gehen wir noch einmal schön Essen. Und beglückwünschen uns zu der tollen Idee, mit Wohnmobil auf Reisen zu gehen...


7. Tag

Wir stehen früh auf, weil am Vormittag der obligatorische Stau am Gotthard-Tunnel noch nicht so lang ist.

Es ist äußerst schwierig, mit unserem großen Wohnmobil vom Stellplatz zu fahren, ohne ein Auto, Zelt oder Baum zu streifen. Ich müsste eigentlich gleichzeitig vor und hinter dem Fahrzeug sein, um B. Anweisungen zu geben. Netterweise hilft uns ein Nachbar. Er steht vor der Schnecke und winkt, ich stehe hinter der Schnecke und winke.

Die Heimfahrt läuft reibungslos. Kein Stau am Gotthard. In knapp 4 Stunden sind wir wieder zu Hause.

Wir sind uns sicher, dass wir nicht zum letzten Mal am Lago Maggiore Urlaub gemacht haben!

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